Modifikations-möglichkeiten der Zusatzbohrung

Tipps für bessere Zusatzbohrungen an Otoplastiken

Veröffentlicht am: 13.8.2017
Autor/in: Mike
Lesezeit: Minuten

Um darauf genauer eingehen zu können, müssen wir zuerst klären, wie eine optimale Zusatzbohrung sein sollte. Die Antwort ist allerdings recht paradox, was unseren Beruf aber umso spannender und unser Handwerk umso wichtiger macht.

Für das Tragegefühl: so offen wie möglich und so geschlossen wie nötig.

Akustisch: so geschlossen wie möglich und so offen wie nötig.

Jetzt haben wir zwar die Frage beantwortet aber was genau fange ich jetzt damit an?

In meinen Augen ganz einfach: wir gehen einen Kompromiss ein.

Um unseren Kunden die maximale Wirkungsweise der Features zu geben, versorgen wir möglichst geschlossen.

Die Belüftung sollte gleichzeitig ausreichend gegeben sein und der Kunde sollte es auch akzeptieren.

Warum eine ausreichende Belüftung so elementar wichtig ist, möchte ich hier stichwortartig schildern:

  • zur Vorbeugung von entzündlichen Prozessen
  • zur Verminderung des Bakterienwachstums
  • um einen erhöhten Tragekomfort zu erzielen
  • zur Verminderung von Kondenswasser in der Schallleitung
  • zur Verminderung von Schwitzwasser im Gehörgang

Da wir nun die grundlegenden Dinge geklärt haben, möchte ich auf die einzelnen Punkte eingehen, die Einfluss auf die Wirkung der Bohrung haben:

  • die Länge der Bohrung (belüftungsrelevant)
  • der Durchmesser der Bohrung (belüftungsrelevant)
  • die Größe des Restvolumens
  • der Sitz der Otoplastik

→ Diese Faktoren sollten alle bei der Wahl der ZuBo bedacht werden.

Die Länge der Zusatzbohrung:

Da die Zusatzbohrung in Verbindung mit dem Gehörgangsrestvolumen einen Helmholtzresonator bildet, erhöht sich die Resonanzfrequenz mit abnehmender Länge.

Eine Halbierung der Länge bewirkt eine Frequenzerhöhung um 41%. Als Beispiel, eine 0,8mm Bohrung wirkt dann wie 1,1mm (auf dieses Ergebnis kommt man auch rein rechnerisch).

Die Belüftung steigt dabei um 60% (dieser Wert wurde 2016 beim EUHA Kongress veröffentlicht).

Der Durchmesser der Zusatzbohrung:

Da die Zusatzbohrung in Verbindung mit dem Gehörgangsrestvolumen einen Helmholtzresonator bildet, erhöht sich die Resonanzfrequenz mit steigendem Durchmesser.

Eine Verdopplung des Durchmessers erhöht die Resonanzfrequenz um 100%, sie verdoppelt sich also (auf dieses Ergebnis kommt man auch rein rechnerisch).

Die Belüftung steigt dabei um 180% (dieser Wert wurde 2016 beim EUHA Kongress veröffentlicht).

Das Restvolumen:

Da die Zusatzbohrung in Verbindung mit dem Gehörgangsrestvolumen einen Helmholtzresonator bildet, erhöht sich die Resonanzfrequenz mit Abnahme des Restvolumens.

Ein längerer Gehörgangszapfen hat also zur Folge, dass sich die Resonanzfrequenz erhöht.

Zur Verdeutlichung habe ich das ganze mal ausgerechnet.

Bei V=2cm³, l=20mm und d=0,8mm Bohrung beträgt diese 383,65 Hz.

Bei V=0,5cm³ beträgt diese allerdings schon 767,3 Hz. (Dies ist realistisch bei großen Zapfenlängen oder Kindern)

Hier die Formel:

Formel in der Hörakustik

Die Bohrung ist komplett die gleiche, einzig und allein das Restvolumen wurde verändert. Und mal ehrlich: wer hat schon 2cm³ Restvolumen? Soviel also zu der berühmten Aussage 0,8mm ist eine reine Belüftung.

Fazit: Ändere ich das Restvolumen durch die Zapfenlänge, so ändere ich gleichzeitig auch die Wirkungsweise meiner Zusatzbohrung.

Der Sitz der Otoplastik

Ein schlechter Sitz führt zu Undichtigkeiten. Diese Undichtigkeiten führen zu ungewollten und nicht vorhersagbaren Ergebnissen.

Eine zweite Zusatzbohrung mit sich änderndem Durchmesser in ein und der gleichen Otoplastik erzielt ähnliche Ergebnisse (nur eine reine Annahme).

Aus diesem Grund setze ich meine Zusatzbohrungen grundsätzlich selbst.

Ich Setze meine Bohrungen selbst, nicht weil ich den Laboren nicht traue, sondern weil ich die tatsächliche Wirkung meiner Zusatzbohrung erst abschätzen kann, wenn ich weiß, wie gut mein Ohrstück sitzt und ob ich die Zapfenlänge vielleicht nochmal kürzen muss (was die Wirkungsweise meiner Bohrung beeinflussen würde). Eine Bohrung größer zu machen oder überhaupt eine zu setzen ist weniger aufwändig als eine vorhandene Bohrung zu verschließen, denn dann muss sie erneut setzen und kommt um das setzen einer Bohrung generell nicht drum herum.

Wie dicht die Otoplastik tatsächlich sitzt, weiß kein Labor und ist von vielen Faktoren, wie zum Beispiel der Kaudynamik, der Festigkeit des Bindegewebes und des Knorpels und noch einigem mehr abhängig. Das würde für diesen Blogeintrag wohl den Rahmen sprengen.

Ob die Otoplastik dicht sitzt, kann man über eine InSitu Messung kontrollieren. Eine geschlossene und dicht sitzende Otoplastik sollte möglichst in allen Frequenzen dämpfen. Das heißt bei einem Le von 50dB sollte der La in allen Frequenzen leiser sein. Setzt man jetzt seine Bohrung kann man auch genau abschätzen wie groß sie sein muss, da man den Sitz mit einbezieht. Das bedeutet, dass man bei einer vielleicht nicht so gut sitzenden Otoplastik (weil vielleicht das Bindegewebe keinen besseren Sitz zulässt) eine kleinere Bohrung benötigt um die optimale Wirkung zu erzielen als man es beim Labor bestellt hätte.

Schön und gut, aber was bedeutet das jetzt und was fange ich mit diesem Wissen an?

Die errechnete Helmholtzresonanz gibt im Prinzip an, wie weit die Vent-in (der Teil des Schalls der durch die Bohrung ins Ohr gelangt) und Vent-out (der Teil des Schalls der durch die Bohrung aus dem Ohr abfließt) Effekte wirken.

Alles unterhalb der Resonanzfrequenz kann in das Ohr und aus dem Ohr heraus. (Bis dahin wirkt die Zusatzbohrung also offen)

Alles oberhalb der Resonanzfrequenz wird gedämpft, muss also über das Hörgerät verstärkt werden (ab da dämpft die Otoplastik und wirkt wie ein Gehörschutz).

Messung bei der Modifikation der Zusatzbohrung

Bei diesem Bild sieht man recht deutlich, was mit Vent-in und der Resonanzfrequenz gemeint ist. Auf der rechten Seite haben wir eine Resonanzfrequenz von etwa 1kHz. Auf dem linken Ohr bei etwa 500 Hz. Alles, was über der Resonanzfrequenz gemessen wurde, verdeutlicht die Dämpfung. Das Eingangssignal hatte einen Le von 50dB.

Ergebnis der Messung bei der Modifikation der Zusatzbohrung

Die zweite Linie ist eine Messung mit eingeschaltetem HG. Bis zur Resonanzfrequenz passiert fast nichts, trotz eingestellter Verstärkung fließt die Leistung nach außen ab. Ab der Resonanzfrequenz bleibt die Leistung im Ohr.

Die untenstehende Tabelle soll eine grobe Leitlinie sein und bedeutet in keinem Fall, dass es immer und grundsätzlich so ist, wie es hier steht. Die Tabelle ist zum Teil aus dem Otoplastikbuch von Ulrich Voogdt und wurde von mir ergänzt, bzw. etwas verändert. Man muss ja das Rad nicht komplett neu erfinden.

VentkanalWirkungResonanzfrequenz
Durchmesser bis 0,8mm Länge größer 2cmDruckausgleich geringe BelüftungNiedrig (<500Hz) Keine Resonanzspitze durch starke Dämpfung
Durchmesser bis 0,8mm Länge kleiner als 1cmmittlere BelüftungMittelfrequent (500-800Hz) Keine Resonanzspitze
Durchmesser 1,0 bis 2,0mm Länge größer als 1cmmittlere BelüftungMittelfrequent (500-800Hz) Leichte Resonanzspitze
Durchmesser größer 2,0mm Länge kürzer als 1cmgute BelüftungHochfrequent (1,5-2,5kHz) Nutzbare Resonanzspitze
Durchmesser größer 2,0mm Sehr kurz, <0,4cm (z.b. Hohlschale)sehr gut Belüftung Passive HochtonverstärkungHochfrequent (~3kHz) Nutzbare Frequenzspitze (Gehörgangsresonanz bleibt erhalten)

Als Tipp kann ich noch mitgeben, dass man nicht immer in jedem Fall eine Bohrung setzen muss. Benötigt man eine recht offene Versorgung kann es durchaus Sinn machen das Material des Gehörganges komplett weg zu fräsen und so etwas wie eine Rille zu benutzen. Das hat den Vorteil das es nicht verstopfen kann und somit auch keine Änderung der eigenen Stimme oder ähnliches verursacht wenn das Gerät nicht so regelmäßig gereinigt wird. Ein weiterer Vorteil ist auch die Reinigung, da keine ZuBo vorhanden ist muss man auch keine ZuBo reinigen.

Mit Übung und InSitu-Messungen (diese Messungen sind zum Erfahrung sammeln unverzichtbar) kann man auf diese Art und Weise auch geschlossenere Versorgungen verwirklichen. Das ist dann aber eine Sache der Erfahrung die man natürlich selbst erst machen muss.